Liberale Leitlinien für einen Islamischen Religionsunterricht

Die FDP Hessen fordert die FDP-Landtagsfraktion auf, Liberale Leitlinien für einen islamischen Religionsunterreicht umzusetzen und dabei folgende Punkte zu beachten:

Der islamische Religionsunterricht ist in Hessen ein gänzlich neues Fach. Aus diesem Grund muss eine neue didaktische Fachwissenschaft entwickelt werden, die mittelfristig dazu verhelfen kann, dass der islamische Religionsunterricht in qualitativer Hinsicht die gleichen didaktischen und methodischen Standards vorzuweisen vermag wie die bereits etablierten Fächer der Stundentafel.

Um einen islamischen Religionsunterricht an hessischen Schulen anbieten zu können, muss schnellstmöglich mit der Ausbildung der zukünftigen Lehrer begonnen werden. Es müssen eigenständige Lehrstühle mit einem klaren religionspädagogischen Profil aufgebaut werden.

Bei aller strukturellen und pädagogischen-didaktischen Anpassung an eine spezifische Form religiöser Bildung verantworten die islamischen Gemeinschaften die Erziehungsziele und–vorstellungen, sowie theologische und anthropologische Inhalte, die der Unterricht transportiert. Der Religionsunterricht ist deshalb nach der Terminologie von Etienne Wenger ein boundary-object (Wenger, Etienne: Communities of practice. 2006), auf der Grenze verschiedener Einflüsse gelegen. Es gehört nicht mehr allein in den Bereich der Autonomie einer Religionswissenschaft, sondern ebenso in den öffentlichen Raum der Schule. An der Schnittstelle zwischen islamischen Organisationen, Schulbehörden bzw. Schulgesetzen und Universitäten, ist der islamische Religionsunterricht gemeinsame Angelegenheit. Im deutschen Staatskirchenrecht kommt die gemeinsame Verantwortung von Staat und Religionsgemeinschaften für den Religionsunterricht im Terminus „res mixta“ zum Ausdruck.

Wir brauchen in Hessen eine eigenständige islamische Religionspädagogik und Fachdidaktik, um erfolgreich islamischen Religionsunterricht in den Schulen einführen zu können.

Es muss eindeutig aufgezeigt werden, dass man in allen wichtigen Fachfragen vor einem grundlegenden
Neuanfang steht. Der in islamischen Ländern praktizierte schulische Islamunterricht und – sofern vorhanden – die dazu gehörende Religionspädagogik und Didaktik kann keinesfalls als Vorbild herangezogen werden. Die hiesigen Lebensverhältnisse, insbesondere das Zusammenleben in einer werteplural orientierten Gesellschaft und die daraus resultierenden schulspezifischen Aufgaben, unser säkular orientiertes Schulsystem, unser Verfassungsbegriff von Religionsgemeinschaft und das damit verbundene Prinzip staatlicher Neutralität sind alles Aspekte die deutlich machen, dass all dies mit dem Schulunterricht in islamisch geprägten Ländern, der ausnahmslos unter der alleinigen Verantwortung des Staates durchgeführt wird, inkompatibel ist.

Einer islamischen Religionsdidaktik kann aus den Besonderheiten des Islams heraus auch nicht die evangelische und katholische Fachdidaktik übergestülpt werden, die in der Religionspädagogik auf eine langjährige und reichhaltige Tradition verweisen kann. Die Einführung und Etablierung einer eigenständigen islamischen Religionspädagogik und Fachdidaktik, die an deutschen Hochschulen verankert werden sollte, ist daher eine folgenrichtige Forderung.

Da ein gemeinsamer Religionsunterricht für Sunniten, Schiiten und Aleviten möglich, aber nicht zwingend ist, können wir nicht von einer einheitlichen Religionspädagogik und Fachdidaktik ausgehen.

Eine einheitliche gesamtislamische Religionspädagogik ist möglich aber nicht zwingend. Demnach muss auch die Entwicklung der islamischen Religionspädagogik und Fachdidaktik auf universitären Ebene stattfinden. Daher sollte mindestens ein Studiengang angeboten werden, in dem sunnitische, schiitische und alevitische Aspekte berücksichtigt werden.

Im Bezug auf die Entwicklung neuer Bildungsstandards sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

Die vielfältigen lokalen und regionalen Ausdrucksformen islamischer Kultur, die in einem erheblichen Ausmaß die Lebenswelt der hier lebenden Muslime prägen, sind gleichfalls zu berücksichtigen.

Über die islamische Theologie hinaus darf der allgemeine Bildungsauftrag der Schule nicht in Vergessenheit geraten. Von besonderer Bedeutung ist auch der Erwerb der Fähigkeiten über den jeweiligen theologischen Ansatz hinaus. Hierzu gehört das Erlernen von Selbständigkeit, Kritikfähigkeit, Toleranz, sozialer und kommunikativer Kompetenz. Gerade im Bezug auf den Aspekt der Toleranz ist ein Einblick in andere Religionen, Wertvorstellungen und grundlegende philosophische Ansätze notwendig und daher wichtiger Teil des islamischen Religionsunterrichts. Darüber hinaus muss sich der Religionsunterricht mit der Pluralität der Schülerinnen und Schüler und deren Wertvorstellungen auseinandersetzen.

Es muss klar erkenntlich sein, inwieweit sich der an staatlichen Schulen erteilte islamische Religionsunterricht von der religiösen Erziehung in der Familie und Gemeinde unterscheidet. Die Einbeziehung des persönlichen Lebensraumes muslimischer Schülerinnen und Schüler in den islamischen Religionsunterricht trägt im besonderen Maße zur Persönlichkeitsentwicklung bei.

Die Mitwirkung der Religionsgemeinschaften beim Religionsunterricht erschöpft sich nicht in der Feststellung der inhaltlichen Grundsätze des Religionsunterrichts. Vielmehr wird man sie auch in die Entscheidung miteinbeziehen müssen, ob eine Lehrkraft Religionsunterricht ihrer Konfession erteilen darf.

Die Erteilung und Entziehung der Lehrerlaubnis muss durch klare Kriterien festgelegt werden. Ebenso muss definiert werden, welche Organe die Lehrerlaubnis erteilen bzw. entziehen dürfen.

Gleichfalls eine besondere Bedeutung kommt der richtigen Methodenwahl im islamischen Religionsunterricht zu, um unter anderem religiös begründeten Vorbehalten entgegenzutreten. Dies gilt insbesondere im Rahmen der Primärschulpädagogik, da in der ersten Jahrgangsstufe die Bild-und Symboldidaktik viel Raum einnimmt. Eine systematische Entwicklung von Lehrmitteln und Medien, die um Unterricht eingesetzt werden können, sollte verstärkt gefördert werden.

Es ist festzulegen, welche Kriterien erfüllt werden müssen, damit Unterrichtsmaterialien in einem islamischen Religionsunterricht eingesetzt werden können.

Neben den Zielen, Inhalten und Methoden bildet der „Raum“ eine weitere wichtige Größe religiösen Lernens. Die klassische Fachdidaktik beschränkt sich zum größten Teil auf die Gestaltung und Organisation des Lebensraums Schule. Aus religionsdidaktischer Perspektive müssen weitere Räume ins Blickfeld gezogen werden. Im Kontext eines islamischen Religionsunterrichtes sind neben den Moscheen vor allem die neuen virtuellen Räume von herausragender Bedeutung.

Die Mediennutzung muslimischer Schülerinnen und Schüler und aus ihr resultierende Effekte müssen Gegenstand des Islamunterrichts sein. Auf Grund der wachsenden Bedeutung des Internets ist der Lernort „virtuelle Umma“ methodisch zu erschließen.

Moderne pädagogische Konzepte für die Schule und andere Lernorte gehen davon aus, dass Schülerinnen und Schüler ihren Lebensalltag nicht mehr in homogenen Milieus verbringen in der Familie, Gemeinde, Freizeit und Schule ineinandergreifende Beziehungsfelder darstellen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche mehrfach täglich zwischen unverbundenen Lebenswelten (Familie, Schule, Sportverein etc.) wechseln. Der ständige Wechsel bringt sehr hohe Anforderungen mit sich, da jede Lebenswelt andere, zum Teil sich widersprechende Rollenerwartungen bereithält. Zur Bewältigung des Übergangs benötigen Kinder und Jugendliche die Fähigkeit des sprachlichen und sozialen Code-Switchings, welches ihnen ermöglicht unterschiedliche kulturelle Milieus in einer dynamischen Identität zu integrieren.

Die Heterogenität der Lebenswelten, die sich oft konflikthaft gegenüber stehen, stellt gerade für muslimische Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund oftmals ein Problem dar. Die Schnittmengen zwischen Elternhaus, Schule und Sportverein sind in vielen Bereichen gering. Deutlich wird dies z.B. in der erzieherischen Vermittlung der Geschlechterrollen. Die islamische Religionspädagogik kann in diesem Spannungsfeld eine wichtige Brückenfunktion wahrnehmen.
Unterschiedliche Rollenerwartungen in Familie und Schule sowie divergierende Wertvorstellungen können so für Schülerinnen und Schüler sichtbar, bewusst und reflektiert werden.

Islamische Religionspädagogik muss Methoden entwickeln und bereitstellen, die im Unterricht eine Zusammenführung getrennter Lebenswelten bzw. Beziehungsfelder ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Darstellung der Geschlechterrollen. Im islamischen Religionsunterricht muss unmissverständlich das Prinzip der Gleichberechtigung zum Ausdruck gebracht werden.

Rahmenbedingungen für die Teilnahme an einem islamischen Religionsunterricht:

1. Ein gemeinsamer Religionsunterricht für Sunniten, Schiiten und Aleviten ist möglich, aber nicht zwingend. Es kann daher perspektivisch von mindestens drei islamischen Religionsunterrichten ausgegangen werden.

2. Eine formale Mitgliedschaft zu einer Religionsgemeinschaft ist nicht erforderlich um an einem islamischen Religionsunterricht teilnehmen zu können.

3. Kein(e) Schüler/in darf auf Grund ihrer/seiner kulturellen oder religiösen Herkunft zu einer Teilnahme an einem islamischen Religionsunterricht gezwungen werden oder die Teilnahme verweigert werden.

4. Prinzipiell ist die Teilnahme an einem islamischen Religionsunterricht für jede(n) Schüler(in) möglich. Teilnahmevoraussetzung ist die Anmeldung zu einem Religionsunterricht zu Beginn eines Schuljahres. Die Anmeldung erfolgt in der Regel durch die Erziehungsberechtigten oder mit 14 Jahren durch die Schülerin bzw. den Schüler selbst.

5. Im Hinblick auf die Stundentafel ist islamischer Religionsunterricht als gleichwertiges Unterrichtsfach zu betrachten und gilt daher für die angemeldeten Schülerinnen und Schüler als Pflichtfach.