Älter, aktiver, freier – Chancen für die älter werdende Gesellschaft eröffnen
Die deutsche Gesellschaft wird älter und die Menschen bleiben länger gesund. Die medizinische Versorgung in Deutschland ist sehr gut und es geht den Menschen heute besser im Alter. Nach dem Arbeitsleben beginnt die am stärksten individuell gestaltbare Lebensphase. Deshalb wird Freiheit für viele Menschen im Alter neu erlebbar. Über diese positive Entwicklung wird in der deutschen Politik wenig gesprochen. Eher ist die aktuelle politische Debatte geprägt von Warnungen. Sie ruft reale und vermeintliche Krisen, Notstände und Verarmungstendenzen aus und begegnet ihnen mit den traditionellen Sozialstaatsrezepten der 1980er und 90er Jahre. Die Chancen, gesund und individuell das Alter und neue Freiheiten zu genießen, treten bei der Diskussion über die alternde Gesellschaft regelmäßig in den Hintergrund. Den ausgerufenen Bedrohungsszenarien steht gleichzeitig eine offenkundige Weigerung der Politik gegenüber, die Herausforderungen der alternden Gesellschaft wirklich anzugehen.
Das wollen wir Liberale ändern.
Wir wollen die Chancen des demografischen Wandels für eine Gesellschaft nutzen, die älter, aktiver und freier ist.
Wichtig ist uns hierbei vor allem, dass sich ein positives Altersbild entwickelt. Das in Politik und Gesellschaft teils noch vorherrschende Altersbild des Armen, Gebrechlichen und Hilfsbedürftigen entspricht nicht mehr der Realität. Erfahrung, Weisheit, die Weitergabe von Wissen und Können, das Miteinander mehrerer Generationen, Aktivität im Alter statt verordneter Passivität, gesellschaftliches Engagement und eine neue Vielfalt möglicher Altersrollen sind wesentliche Bausteine einer bunteren Gesellschaft, auch im Alter. Die deutsche Sozialpolitik hält aber bisher stur an überkommenen Altersbildern fest: Der heute 65-Jährige hat mit seinem Altersgenossen des Jahres 1900 nur das kalendarische Alter gemein, das biologische differiert um etwa zehn Jahre. Die deutsche Sozialversicherung und der Sozialstaat malen in der aktuellen Rentenpolitik das Bild des Einheitsrentners, den es aus Sicht der schwarz-roten Koalition möglichst mit 63 Jahren aus dem Erwerbsleben zu nehmen gilt. Das bewirkt einerseits eine unverantwortliche Verschuldung zu Lasten kommender Generationen und ist andererseits ein erheblicher Rückschlag bei der Suche nach modernen positiven Altersbildern. Dabei hätten wir gerade jetzt Gelegenheit, notwendige Schritte zu gehen. Denn noch gehen eher geburtenschwache Jahrgänge in Rente und wir „ernten“ in den sozialen Sicherungssystemen eine demografische Rendite. Schon bald folgen ihnen die „Babyboomer“, also die geburtenstarken Jahrgänge. Bis dahin müssen die notwendigen Reformen an den deutschen Sozialsystemen fortgeschritten oder besser vollständig abgeschlossen sein.
Liberale machen immer Politik für den einzelnen Menschen. Seine Freiheit in jeder Lebenslage zu erhalten, ist oberste Maxime. Grundrechte verpflichten uns, staatliche Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen abzuwehren. In der alternden Gesellschaft bekommen Grundrechte aber auch einen ermöglichenden Charakter. Teilhabe, Selbstbestimmung, Erhalt von Leistungsfähigkeit und Verantwortung für sich und andere sind hier wichtige Stichworte. Im Moment dominiert dagegen Bevormundung in der Politik. Die Chancen müssen jetzt ergriffen werden. Die Herausforderungen der alternden Gesellschaft verlangen nach mutigen liberalen Antworten.
Unsere Gesellschaft muss, um die Chancen einer vielfältigen Gesellschaft entfalten zu können, Antworten auf zentrale Fragen liefern:
Gesellschaftliche Teilhabe und Selbstständigkeit im Alter
Aktive Ältere wollen nicht wegen ihres Alters bevormundet werden. Stattdessen sind generationenübergreifende Angebote zur Weitergabe des eigenen Wissens, ebenso wie eine gesellschaftliche Akzeptanz der Fähigkeiten des Wissens und der Erfahrung Älterer notwendig. Die FDP will hier neue Konzepte zur Einbindung und gegen die schleichende Entmündigung Älterer erarbeiten. Konzepte wie Verantwortungsgemeinschaften, aber auch klare Rahmensetzungen für Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, gehören für uns hierbei ebenso dazu wie die Abschaffung von Altersgrenzen, zum Beispiel bei Freiwilligendiensten und Berufsständen. Generationenübergreifende Wissensvermittlung, möglicherweise in Generationenpartnerschaften in der Bildung, kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Liberale setzen dabei konsequent auf das Individuum, sie trauen jedem Einzelnen etwas zu und vertrauen ihm. Das „eine“ Altersbild, feste Verhaltenserwartungen und Rollenbilder darf es deshalb nicht geben. Gleichwohl ist es wichtig, dem vorherrschenden Krisendiskurs positive und realistische Altersbilder entgegenzusetzen.
Migration und Alter in einer vielfältigen Gesellschaft
Inzwischen nimmt die Zahl der Älteren mit Migrationshintergrund immer stärker zu. Sowohl bei der Pflege als auch bei der Rahmensetzung ist hier besonderes kulturelles Fingerspitzengefühl gefragt. Eine weltoffene Partei wie die FDP wird hier Konzepte, z.B. im Rahmen der Pflegeausbildung, gerade für die stärker betroffenen Ballungsräume in Hessen, entwickeln. Religionsspezifischen und interkulturellen Ansätzen kommt in der Ausbildung eine besondere Bedeutung zu. Die FDP hält es für selbstverständlich, dass die Kommunen ihre Friedhöfe den religiösen Belangen für die hier sterbenden Migranten öffnen. Freiwillige interkulturelle und interreligiöse Ethikkommissionen an Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen können hierbei wichtige Anregungen geben.
Infrastruktur, Mobilität im Alter
Städtische und ländliche Räume in Hessen werden vor unterschiedliche Herausforderungen gestellt: Bei rückgängigen Bevölkerungszahlen im ländlichen Raum müssen neue Konzepte zur Sicherung der Infrastruktur in der Fläche – von der Gesundheitsversorgung bis zur Mobilität – entwickelt werden. Im Odenwald muss genau wie im Werra-Meißner-Kreis aktiven Älteren durch entsprechende Infrastruktur, Teilhabe ermöglicht werden. Manche heutigen Standards werden sich nur schwer oder gar nicht aufrechterhalten lassen, hierfür müssen rechtzeitig andere Formen entwickelt werden. Wir müssen feststellen, dass Angebote, wie Anrufsammeltaxen, bisher kaum attraktiv sind. Deshalb fordern wir den Schritt zum Anrufsammeltaxi 2.0, bei dem die regionalen Verkehrsverbünde mittels Telefon, Internet und App sich den Kommunikationsbedürfnissen aller Generationen öffnen, damit die Menschen benutzerfreundlich und einfach Verkehrsmittel auch im ländlichen Raum finden können. Ergänzend zum öffentlichen Personennahverkehr begrüßen wir auch Kommunikationsplattformen zur besseren Koordination von generationenübergreifenden Mitfahrgelegenheiten in Hessen. In allen Regionen Hessens kommt bei der Bereitstellung von Infrastruktur der interkommunalen Zusammenarbeit eine besondere Bedeutung zu. Wir fordern deshalb, dass durch das Land Hessen alle freiwilligen Kooperationen und Zusammenschlüsse von Gebietskörperschaften mehr als bisher unterstützt und positiv begleitet werden.
Wohnen im Alter
Gesund, geistig aktiv, körperlich fit, selbständig, in einer eigenen Wohnung selbstbestimmt bis zum Ende leben zu können, ist der Wunsch der weit überwiegenden Zahl der Seniorinnen und Senioren. Aber insbesondere im Rhein-Main-Gebiet herrscht schon heute Mangel an bezahlbaren altersgerechten Wohnungen. Staatlich regulierte Mietpreise machen Investitionen in Wohnraum unattraktiv. Die FDP will neue Wege auch mit neuen Wohnformen gehen und private Wohngruppen und Verantwortungsgemeinschaften fördern, private Investitionen unterstützen.
Die Kommunen sollen dabei eine stärkere Rolle übernehmen und dabei vom Land Hessen maßgeblich unterstützt werden. Sie sollen aktiv werden bei der Beratung von Interessenten für solche und andere Wohnformen, bei der Beschaffung von Immobilien helfen, Netzwerke von Organisationen, die in der Altenarbeit tätig sind, bilden und moderieren usw. Dazu gehört die Beratung beim Umbau von oder beim Umzug in barrierearme Wohnungen. Ein barrierefreies Wohnumfeld hilft, die Teilhabe der Älteren am Leben in der Gesellschaft zu erleichtern.
Gleichzeitig gibt es, insbesondere im Rhein-Main-Gebiet, schon heute Probleme mit bezahlbaren altersgerechten Wohnungen. Anstatt mit staatlich regulierten Mietpreisen Investitionen in Wohnraum unattraktiv zu machen, fordern die Liberalen neue Wege – sei es durch Förderung von privaten Wohngruppen und Verantwortungsgemeinschaften oder die Unterstützung privater Investitionen, insbesondere neue Wohnformen, wie etwa das Mehrgenerationenwohnen und genossenschaftlich organisierte Modelle, sollen stärker gefördert werden.
Flexibilität im Arbeitsleben
In der gestiegenen Lebenserwartung liegen erhebliche Potenziale. Die Gefahr eines Fachkräftemangels kann durch die Einbindung älterer Fachkräfte zumindest verringert werden und sich so weniger gravierend auswirken. Viele Ältere wollen heute länger arbeiten. Andere wollen die gewonnenen Erfahrungen bewusst noch einmal in einem ganz anderen Bereich einsetzen. In Unternehmen und Betrieben sollten Gesundheitsprogramme und ständige Weiterbildung flexible Einsätze der Arbeitnehmer vor und nach Rentenbeginn ermöglichen. Mit dem Konzept des flexiblen Renteneintrittsalters hat die FDP eine erste Antwort gegeben. Außerdem soll es für Arbeitnehmer die Möglichkeit geben, ihre bisherige Berufstätigkeit nach dem Erreichen des Rentenalters ganz oder teilweise fortzusetzen. Dabei gilt es aber, die Anforderungen an Politik und Verwaltung klar darzustellen: Ältere brauchen keine intensive Jobvermittlung beim Arbeitsamt, wohl aber eventuell ergänzende Beratungen beim Gesundheitsamt und flexible Arbeits(-zeit-)modelle; ein Arbeits- und Ehrenamtsmarkt im Alter. Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen hierfür angepasst werden. Politik hat, neben einem intensiven Dialog zu prüfen, wie steuerlich entlastende Maßnahmen, kostenträchtige Umstrukturierungsprozesse zur Aktivierung älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen können. Projekte, wie „Heute für Morgen“ in der Firma BMW, können als mögliches Beispiel für solche Umstrukturierungsprozesse dienen, um Kompetenzverluste in Unternehmen zu mindern und aktiven Älteren wirtschaftliche Teilhabe zu erleichtern. Darüber hinaus brauchen wir neue Fachkräfte und eine Willkommenskultur und keine geschürte Angst vor vermeintlicher Armutseinwanderung.
Generationengerechtigkeit und „enkelfitte“ Systeme für Rente und Pflege
Unsere Sozialsysteme stehen vor den schwierigsten Herausforderungen. Liberale wollen keinen Generationenkampf, sondern einen gemeinsamen Einsatz für „enkelfitte“ Systeme bei Rente und Pflege. Dabei wird es zu Kompromissen kommen müssen, damit alle drei Generationen, Großeltern, Eltern und Kinder, gemeinsam den gesellschaftlichen Wandel tragen. Insbesondere die sogenannte Sandwichgeneration, deren Kinder sich noch in Ausbildung befinden, die aber trotzdem bereits teilweise Eltern pflegen, bedarf hier besonderer Aufmerksamkeit.
Liberale fordern einen flexiblen Einstieg in den Ruhestand. Die FDP lehnt daher die von der großen Koalition in 2014 beschlossene Rentenpolitik strikt ab. Wir fordern stattdessen ein flexibles und „enkelfittes“ Rentenmodell, das den gesellschaftlichen Entwicklungen entspricht. Unter klaren Bedingungen erlaubt dieses Modell eine Rente mit 60 bei entsprechenden Abschlägen und die Aufhebung der Zuverdienstgrenzen. Wo immer möglich, sollen sowohl Regelaltersgrenzen als auch separate staatlich geförderte Altersteilzeitprogramme in das System des flexiblen Renteneintrittsalters überführt und abgeschafft werden. Sofern Arbeitnehmer und Arbeitgeber dies wünschen, soll es für ältere Menschen nach dem Eintritt des Ruhestandes die Möglichkeiten geben, ihre bisherige Berufstätigkeit ganz oder teilweise fortzusetzen. Das Arbeitsverhältnis ist grundsätzlich befristet, kann individuell gestaltet werden und unterliegt nicht den Kündigungsschutzregeln. Das so erlangte Arbeitseinkommen wird nicht automatisch auf die Rente angerechnet. Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung fallen nicht mehr automatisch an; der Arbeitgeber zahlt jedoch weiterhin Beiträge, um gegenüber der Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer Fehlanreize zu vermeiden und die junge Generation zu entlasten. Die nur von dem Arbeitgeber gezahlten Rentenversicherungsbeiträge sind ab dem endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben rentenerhöhend dem Arbeitnehmer zuzurechnen.
Parallel zum Rentensystem sind über eine Dienstrechtsreform im Beamtenrecht, entsprechende Regelungen, um auch das Pensionssystem „enkelfit“ zu machen, notwendig.
Stärkung der betrieblichen und privaten Vorsorge
Obwohl kapitalgedeckte Rentensysteme selbst in der Finanzkrise nachhaltiger waren als umlagefinanzierte Rentensysteme, haben viele Menschen Angst um ihre private Altersvorsorge. Dieser müssen wir, über die gesetzlichen Garantien hinaus, durch einen klaren ordnungspolitischen Rahmen, Transparenz und Information begegnen. Zur Stärkung privater und betrieblicher Altersvorsorge ist der Rechtsanspruch auf sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung ein wertvoller Beitrag, der erhalten bleiben sollte. Ergänzend sollen auch Umwandlungen von Zeitwertkonten in Entgeltpunkte der gesetzlichen Rentenversicherung geprüft werden. Hierbei sind insbesondere die Hindernisse für mittelständische Unternehmen abzubauen. Bei betrieblichen Altersvorsorgeleistungen fordern wir eine höhere Portabilität im Falle des Wechsels des Arbeitgebers sowie eine Reduktion der gesetzlichen Unverfallbarkeit von Ansprüchen aus der betrieblichen Altersvorsorge von fünf auf drei Jahre. Hier ist die Übertragbarkeit in Deutschland und Europa völlig unzureichend. Gleiches gilt beim Wechsel eines Beamten in die freie Wirtschaft.
Unterstützung für Pflege in der Familie
Viele ältere Menschen haben den starken Wunsch, auch im hohen Alter in ihrem eigenen Umfeld oder zumindest im Umfeld der eigenen Familie zu bleiben. Dieser individuelle Wille ist für Liberale Handlungsauftrag und muss politisch gestaltet werden. Nur durch Wertschätzung und nachhaltige Weiterentwicklung der ambulanten pflegerischen Versorgung kann der Wunsch der Menschen, so lange wie möglich frei und selbstbestimmt in der gewohnten Umgebung zu leben, gewahrt werden. Angehörige in Verantwortung für ihre Familienmitglieder tragen noch immer die größte Last. Etwa zwei Drittel der Pflegebedürftigen in Hessen werden durch Angehörige gepflegt. Diese Leistung verdient die Anerkennung aller. Die Anforderungen an pflegende Angehörige – besonders im Kontext von Krankheiten wie Demenz – sind deutlich gestiegen. Die Fachstellen Demenz in hessischen Landkreisen sollten flächendeckend eingerichtet werden, um mit pflegenden Angehörigen, Nachbarn, Ärzten und Pflegekräften ein Netzwerk zur längeren professionellen Betreuung im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Weitere Konzepte, wie die
Pflegeberatung beim Eintritt eines Pflegefalles oder die Pflegestützpunkte sind ebenso hilfreich wie auch die Beratung durch Pflegedienste, Pflegebegleitung und regelmäßige Entlastung pflegender Angehöriger durch Profis oder Freiwillige. Nachbarschaftshilfe im Quartier wird eine immer größere Rolle spielen. Speziell im ländlichen Raum bestehen auf diesem Feld erhebliche Chancen. Auch hier kommt Pflegepartnerschaften und Verantwortungsgemeinschaften eine besondere Rolle zu.
Qualität der Pflege im Heim
Pflege ist in Zeiten des demografischen Wandels eine der Herausforderungen der Zukunft. Vielschichtige Hilfebedarfe und multimorbide Krankheitsbilder in einer immer älter werdenden Gesellschaft machen professionelle Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte genauso unentbehrlich wie Ärzte und Kliniken. Gute Pflege braucht gute Rahmenbedingung und eine solide Refinanzierung. Nur so können qualifizierte Fachkräfte gewonnen und trotz der intensiven Tätigkeit dauerhaft gehalten werden. Pflege gehört als Verantwortung der gesamten Gesellschaft in deren Mitte und muss von bürokratischen Hürden sowie Doppelstrukturen entlastet werden, um mehr Zeit für die Menschen und Ihre Bedürfnisse zu haben. Die Qualität im Rahmen der stationären Pflege muss unabhängig und regelmäßig überprüft werden. Deshalb soll die Kontrolle auf Ebene der Regierungspräsidien gestärkt werden.