Bildung als kommunale Aufgabe. Der Schlüssel liegt vor Ort!

Unsere Städte und Gemeinden sind Bildungsorte. Bildung ist eine kommunale
Aufgabe.

Etwa ein Drittel des gesamten Haushalts einer hessischen Gemeinde wird für
Aufgaben verwendet, die einen Bezug zum Thema Bildung haben. Das umfasst
die Schulumlage, die an den Schulträger abzuführen ist, über die Ausgaben für
die frühkindliche Bildung und Betreuung (U3 und Ü3), bis zur Finanzierung von
Kinder- und Jugendarbeit, Musik- und Kulturvereinen, Bibliotheken und vieles
mehr.

Doch meist fehlt ein übergreifendes Bildungskonzept in den Kommunen. Die
wenigsten Städte und Gemeinden haben ein „Bildungs-Leitbild“, in dem alle
Bedarfe, Angebote und Einrichtungen sowie deren Qualität systematisch erfasst,
bewertet und fortentwickelt werden.

Dabei ist Bildung die zentrale Frage für unsere Gesellschaft

Bildung ist mehr als Schule, mehr als Lernen für die berufliche Zukunft. Bildung
ist grundlegend für das Leben jedes Einzelnen.

Bildung umfasst die Entwicklung und Entfaltung der individuellen Persönlichkeit
eines jeden Menschen in intellektueller, ethischer und ästhetischer Hinsicht, wie
der preußische Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt schon Anfang des 19.
Jahrhunderts formulierte.

Erst Bildung befähigt uns Menschen, frei entscheiden zu können, am
gesellschaftlichen Leben – in sozialer, kultureller, materieller und nicht zuletzt
politischer Hinsicht – teilhaben zu können. Bildung ist eine grundlegende
Voraussetzung, um Verantwortung für sich und andere übernehmen zu können
und um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Bildung im Sinne Humboldts hat das Bild eines „Weltbürgers“ vor Augen, der
nicht zurückgezogen lebt, sondern Anteil an den großen Menschheitsfragen
nimmt, sich für den friedlichen Austausch zwischen den Kulturen, Religionen und
Völkern einsetzt und Verantwortung für die Natur übernimmt.

Humboldts umfassendes Verständnis von Bildung ist heute so aktuell wie
seinerzeit.

In unserer offenen, wissenschaftsbasierten Industrie- und
Dienstleistungsgesellschaft ist Bildung wichtiger denn je. Sie ist die
Voraussetzung für Chancengerechtigkeit und sozialer, kultureller, materieller und
politischer Teilhabe.

Bildung ist die Voraussetzung für Integration von Menschen, unabhängig von
ihrer Herkunft und davon, ob sie schon lange in unserem Land leben oder erst
neu in die deutsche Gesellschaft gekommen sind. Der Wohlstand unserer
Gesellschaft hängt entscheidend von ihrem Bildungsniveau ab. Unser
demokratisches Gemeinwesen und die Akzeptanz von Recht und Gesetz setzen
umfassend gebildete Menschen als souverän handelnde Individuen voraus.

Bildung ist Chancengerechtigkeit und sozialer Frieden

Geringe Bildung gehört heute zu den größten Risikofaktoren, um von Armut
(Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens) betroffen zu
werden und nicht oder nur teilweise den eigenen Lebensunterhalt selbst
bestreiten zu können.

So sind nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (2014) heute rund
31 Prozent der Geringqualifizierten (Personen ohne Berufsausbildung mit
maximal Realschulabschluss) durch Armut gefährdet. Vor zehn Jahren waren
dies nur 23 Prozent.

Geringe Bildung und geringes Einkommen sind treibende Faktoren für
Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation und der Beurteilung unseres
demokratischen Wertesystems und der Beteiligung an politischen Prozessen.

Politischer und religiöser Extremismus sind auch Anzeichen für Versäumnisse im
Bereich der Bildung. Fehlen Angebote zur Teilhabe, Integration und sozialen
Aufstieg, nehmen auch die destruktiven Tendenzen in unserer Gesellschaft zu.

Frühkindliche Bildung:

Besonders Kinder sind gefährdet, durch die materielle Not der elterlichen
Haushalte schon in den ersten Lebensjahren den Anschluss zu verlieren und zu
dauerhaften „Bildungsverlierern“ zu werden.

Das Angebot und die Qualität frühkindlicher Bildung sind entscheidend, um
Chancengleichheit von Anfang an zu ermöglichen und zwar möglichst
unabhängig vom Einkommen der Eltern.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung (2015) zu den Ergebnissen von
Schuleingangsuntersuchungen hat gezeigt, dass armutsgefährdete Kinder schon
beim Schuleintritt deutlich benachteiligt sind, insbesondere in den Bereichen der
Sprachbeherrschung, Konzentrationsfähigkeit und Körperkoordination.

Bildung ist Integration von Flüchtlingen:

Der Zustrom an Flüchtlingen – allein für dieses Jahr rechnen Fachleute mit
mehr als einer Million Menschen – stellt unsere Gesellschaft vor gewaltige
Herausforderungen. Dabei spielt die Bildung eine zentrale Rolle.

Der Erwerb der deutschen Sprache, die Vermittlung von Normen und Werten
als Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben, die Befähigung für
berufliche Ausbildung und Arbeit sind nur durch die Fokussierung auf Bildung
und eine klare Prioritätensetzung zu Gunsten der Bildung erreichbar.

Bedarfe und Anforderungen an „kommunale Bildung“:

Für die frühkindliche Entwicklung im Bereich der Kindertagesstätten für
Kinder unter drei Jahren (U3) und für Kinder über drei Jahren (Ü3) sowie in der
Kindertagespflege (Tagesmütter) sind in der Verantwortung der Gemeinden und
sowie der Landkreise als örtliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

Im Rahmen der gesetzlichen Standards entscheidet die Gemeinde, wie viele
Plätze für Kinder angeboten werden, welche Betreuungszeiten gelten, welches
pädagogische Profil umgesetzt werden soll, wo die Standorte sind, wie die
Gebäude baulich eingerichtet sind und wie teuer die Betreuungsplätze für die
Eltern letztlich sind.

Damit haben die Gemeinden den entscheidenden Schlüssel in dem wichtigen
Bereich der frühkindlichen Bildung in der Hand. Für die Startchancen der
Kinder, die Entwicklung der Sprache und grundlegender sozialer, emotionaler
und kognitiver Fähigkeiten, ist die Phase bis zur Einschulung von größter
Bedeutung.

Doch viele Gemeinden sind sich dieser Verantwortung nicht ausreichend
bewusst. Stattdessen klagen Bürgermeister oft und gerne über die finanziellen
Belastungen in diesem Bereich, der für die Entwicklung unserer Gesellschaft
ganz maßgeblich ist.

Die Trägerschaft für die öffentlichen Schulen liegt bei den Landkreisen und
kreisfreien Städten. In Schulentwicklungsplänen sollen Profile und Standorte
geplant werden.

Auch wenn die innere Schulverwaltung Aufgabe des Landes ist, haben die
Landkreise und die Gemeinden eine große Verantwortung für ihre Schulen.

Die Integration der „Schule“ in das Leben vor Ort, die Zusammenarbeit mit den
Kindestagesstätten, die Vernetzung mit Vereinen, anderen Bildungseinrichtungen
und den Unternehmen und Arbeitgebern vor Ort, ist ohne eine maßgebliche
Rolle der Gemeinden nur schwer erfolgreich zu realisieren. Insbesondere auch,
wenn es um die Abstimmung der Sozial- und Jugendarbeit und die Umsetzung
sozialräumlicher Konzepte und um Stadt- und Quartiersentwicklung geht.

Die privaten Schulen leisten einen wichtigen Beitrag zur Schulvielfalt und zur
Vielfalt der pädagogischen Konzepte. Die Einbindung der privaten Schulen und
ihrer Träger in die örtliche Gemeinschaft ist eine wichtige kommunale Aufgabe.

Für Mittelzentren, die Standort weiterführender Schulen sind, ist die Eigenschaft
eine „Schulstadt“ zu sein, von großer Bedeutung für die gesamte Entwicklung
der Kommune. Schulen sind ein wichtiger sozialer Ort und bieten viele
Arbeitsplätze für Lehr- und Servicekräfte.

Die räumliche Nähe zu Schulen und die Vielfalt des schulischen Angebotes
steigern die Attraktivität einer Stadt, insbesondere natürlich für junge Familien,
die nach einem Lebensmittelpunkt suchen und über die Anmietung oder den
Kauf von Wohneigentum nachdenken.

Gerade im ländlichen Raum ist es für Handwerksbetriebe und mittelständische
Unternehmen eine große Herausforderung geeignete Auszubildende und
Nachwuchskräfte zu gewinnen. Die Kooperation von Schulen mit örtlichen
Unternehmen ist auch aus diesem Grund für die wirtschaftliche Entwicklung einer
Kommune nachhaltig bedeutsam.

Eine wohnortnahe Berufsausbildung wird in vielen Bereichen immer
schwieriger. Zurückgehende Schülerzahlen führen oft zu einer Konzentration von
Berufsschulklassen an wenigen Standorten und damit zu langen Wegen und
einem materiellen und zeitlichen Mehraufwand für Auszubildende und
Ausbildungsbetriebe.

Deshalb ist es im Eigeninteresse einer Kommune oder mehrerer Kommunen
einer Region im Bereich der Berufsausbildung Konzepte zu entwickeln, die eine
wohnortnahe, möglichst dezentrale Ausbildung ermöglichen.

E-Learning-Angebote und beispielsweise virtuelle Prüfungszentren in
Rathäusern können hier einen konkreten Beitrag leisten.

Der Trend zur (politisch gewollten) Akademisierung beschert den Hochschulen
und Universitäten immer mehr Studenten, während die klassische
Berufsausbildung unter Druck gerät. Duale Studiengänge sind eine kluge
Möglichkeit, die Vorteile der praxisbezogenen Ausbildung mit
hochschulbezogenen Lerninhalten und Abschlüssen zu verbinden.

Gerade für mittelgroße Kommunen, die kein Hochschulangebot vor Ort haben,
ist es sehr wichtig, solche dualen Studiengänge bzw. Zweigstellen von Trägern
anzusiedeln. Damit lässt sich einerseits der Abwanderung junger Schulabsolventen
in die Ballungsräume entgegenwirken und andererseits die
Versorgung der regionalen Wirtschaft mit qualifizierten Fachkräften verbessern.

Als auch im Themenfeld Berufsausbildung kommt den Kommunen also eine
tragende Rolle zu. Sie können Angebote und Bedarfe ermitteln und
zusammenführen sowie bei der wichtigen Frage geeigneter Standorte sowie dem
Marketing für duale Studiengänge maßgeblich beitragen.

Ähnlich wie bei der Frage dualer Studiengänge, ist es im Eigeninteresse der
Hochschulstädte, die Hochschulen als Entwicklungszentren für die gesamte
regionale Entwicklung zu verstehen.

Dazu braucht es ein modernes stadtplanerisches Konzept für die Hochschulen,
beispielweise auch um für ausreichend Wohnraum im Umfeld zu sorgen oder
innovativen Unternehmen und Start-ups, die sich im Umfeld der Hochschulen gründen,
ein attraktives Angebot für die Ansiedlung und Weiterentwicklung zu machen.

Der gesamte Bereich der Integration von Migranten und insbesondere Flüchtlingen ist
eine kommunale Aufgabe. Sprachkurse werden gegenwärtig vor allem durch die kommunalen
Volkshochschulen durchgeführt. Wegen der großen Zahl der Flüchtlinge werden die bisherigen
Strukturen, die materielle und personelle Ausstattung sowie die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichen.

Wenn Integration gelingen soll und wenn der Erwerb der Sprache eine zentrale
Bedingung dafür ist, müssen die Kommunen mit aller Kraft an der Verbesserung
der Angebote arbeiten.

So können Räumlichkeiten der Gemeinde, z.B. Dorfgemeinschaftshäuser, für
Sprachkurse für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden. Auch bei der
Gewinnung der Sprachlehrer sollten vor allem Lehrkräfte aus der Gemeinde vor
Ort eingebunden werden. Das hilft nicht nur Aufwand zu reduzieren, sondern
erleichtert auch den sozialen Zugang der Flüchtlinge in die Ortsgemeinschaft.

Ähnliches gilt bei der Zusammenarbeit mit Flüchtlingsinitiativen und Vereinen.
Hier spielt die Kommune als koordinierende Stelle die maßgebliche Rolle.

Ein kommunales Bildungskonzept muss auch den Bereich der Kultur und Künste
umfassen. Kultur und Kunst sind für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung,
für die Vermittlung von Werten und Förderung von Fähigkeiten wichtig, auch
wenn sie keinen unmittelbar messbaren Ertrag erzielen. Unsere Städte und
Gemeinden unterhalten Museen und Musikschulen, sie fördern Theatergruppen,
Malwerkstätte, Gesangs- und Heimatvereine.

Nur gilt es, diese Angebote auch in ein Gesamtkonzept „Bildungsort
Kommune“ einzubinden.

Entscheidend für den Erfolg eines solchen Leitbildprozesses ist es, die
privaten Akteure, die Bürger, Vereine und Initiativen für eine Mitarbeit zu
gewinnen. Die Bürger sollen bestimmen können. Auf sie kommt es an.

Es geht nicht darum, neue Stellen in der Kommunalverwaltung zu schaffen und
langatmige Konzepte für den Papierkorb zu schreiben. Im Mittelpunkt muss
immer aktives Handeln stehen und die Einbindung und Fokussierung auf die
ehrenamtlich Engagierten.

In den Leitbildprozessen für die jeweilige Kommune vor Ort können im ersten
Schritt die (1.) Bedarfe, (2.) Angebote, (3.) Einrichtungen und deren (4.)
Qualität systematisch erfasst und analysiert werden, um dann im zweiten
Schritt Ziele zu definieren, wie sich Angebote, Qualität, Einrichtungen, Träger,
Standorte usw. entwickeln sollen.

Die Kommunalverwaltung soll diese Prozesse unterstützen, aber nicht
dominieren, sie soll beitragen, aber nicht bestimmen.

Am Ende sollen durch den Leitbild-Prozess viele Bürger und ehrenamtlich
Aktive gewonnen werden, sich zu beteiligen, sich für Bildung und die sich daraus
ergebenen Chancen zu begeistern.

Wenn nicht nur die Mitglieder im Musikverein stolz sind auf den Verein, wenn
nicht nur Eltern sich für Qualität in den Kindertagesstätten stark machen,
sondern auch Leute, die keine Kinder in den Einrichtungen haben, dann hat
Bildung, und alles was damit verbunden ist, einen großen Stellenwert. Genau
den Stellenwert braucht es, um die großen Herausforderungen der Zukunft
erfolgreich zu gestalten.