Energiepolitische Konsequenzen aus der nuklearen Katastrophe in Japan

  1. Die nukleare Katastrophe in Japan hat die Einschätzung von Risiken der Kernenergie sowie die gesellschaftliche Bereitschaft zu deren „Hinnahme“ grundlegend verändert. Die FDP respektiert das von der Bundesregierung entschiedene Moratorium zur Untersuchung aller 17 deutschen Kernkraftwerke unter schärferen Sicherheitsbedingungen. Entsprechend der Überprüfungsergebnisse müssen unsichere Kernkraftwerke sofort abgeschaltet werden. Mangelhafte, aber nachrüstbare Kernkraftwerke sind unverzüglich für die gesamte Dauer der im Rahmen des Ausstiegsszenarios neu zu definierenden Restlaufzeiten auf den neusten Technologie – und Sicherheitsstandard zu bringen, andernfalls sind sie ebenfalls abzuschalten.
    Die FDP geht dabei davon aus, dass insbesondere auch wegen der Kriterien Flugzeugabsturz und terroristische Angriffe die Blöcke Biblis A und Biblis B dauerhaft und rechtssicher stillgelegt bleiben bzw. werden.
  2. Die Bundesregierung und die hessische Landesregierung werden aufgefordert, mit dem Betreiber RWE-Power die notwendigen Vereinbarungen zur dauerhaften Stilllegung von Biblis A und B zu treffen bzw. die entsprechenden Anordnungen und gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen.
  3. Die Landesregierung wird aufgefordert, ein Konzept „Zukunft der Energieversorgung Hessen“ vorzulegen. Es soll konkret den Weg aufzeigen, der bei Auslaufen der Kernkraft als zeitlich befristete Brückentechnologie schneller in das Zeitalter der Erneuerbaren Energien führt. Eine sichere, umweltverträgliche, bezahlbare und zuverlässig verfügbare Energieversorgung ist Ziel rationaler liberaler Energiepolitik. Die FDP setzt sich für einen breiten Konsens von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bei der Formulierung und Erreichbarkeit der energiepolitischen Ziele ein.
    Dazu gehört auch, Machbarkeit, Wirksamkeit, Kosten und Auswirkungen alternativer Energieerzeugung sowie die Möglichkeiten von Energieeinsparungen und –management realistisch zu ermitteln und transparent darzustellen. Nur so kann die Kosten-Nutzen-Relation der verschiedenen möglichen Alternativen (von Gas-, Wasser- und Kohlekraftwerken über Windenergie, Biomasse, Geo- und Solarthermie bis hin zu Pumpspeicherwerken) sachlich abgewogen und über den weiteren Weg des notwendigen Umbaus ein gesellschaftlicher Konsens erzielt werden.
  4. Als Hochtechnologieland ist Deutschland in hohem Maße von einer gesicherten, wirtschaftlich tragbaren Energieversorgung abhängig. Der schnellere Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie und die frühere Erreichbarkeit vermehrter Nutzung von Erneuerbaren Energien sind deshalb eine Herausforderung von nationaler Bedeutung. Sie macht eine Überarbeitung des von der Bundesregierung 2010 langfristig angelegten energiepolitischen Programms für Deutschland erforderlich. Wichtigste Ziele sind die beschleunigte Steigerung der Energieeffizienz und der notwendige Ausbau der Netze sowie der Speicherkapazitäten für elektrische Energie.
    Die FDP setzt sich deshalb für
    - eine sofortige Verabschiedung des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes,
    – eine länderübergreifende Beschleunigung der Genehmigungsverfahren,
    - eine schnelle Verabschiedung der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes(EnWG) und
    - eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft bei gezielter, verstärkter Förderung von Forschung    und Entwicklung auf allen Feldern der regenerativen Energien ein.
    - eine schnellstmögliche, nachhaltige Lösung der noch offenen Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle unter Einbeziehung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse zu finden.
  5. Die FDP fordert die unverzügliche Aufnahme internationaler Gespräche zur Sicherheit der weltweit 431 betriebenen Kernkraftwerke auf hochrangiger Ebene bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO).
    Gleichzeitig ist eine europäische Energiepolitik unverzichtbar. Sie setzt ein abgestimmtes Vorgehen der betroffenen 14 europäischen Länder bei der Festlegung einheitlicher und strenger Sicherheitsstandards und personeller Anforderungen im Gesetzgebungsverfahren ebenso voraus, wie bei der Überprüfung und den notwendigen Konsequenzen für den Betrieb der zur Zeit 143 laufenden AKW in der EU. Sie sind einem Stresstest nach vergleichbaren Kriterien auszusetzen. Die FDP spricht sich für eine europäische Atomaufsicht aus. Die effektive Nutzung und die Schaffung ausreichender Potentiale regenerativer Energien erfordern optimale Standorte auch im europäischen Maßstab, den abgestimmten Ausbau des europäischen Strom- und Gasnetzes sowie der Speicherkapazitäten zur Gewährleistung einer Infrastruktur für Transport und Speicherung elektrischer Energie. Diese muss den Erfordernissen der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und eines funktionierenden Binnenmarktes Rechnung tragen. Die Ergebnisse dieser Bemühungen bestimmen maßgeblich den Zeitpunkt des endgültigen Ausstiegs aus der Kernenergie. Der erhöhte Import von Atomstrom aus unsichereren Kernkraftwerken aus dem Ausland aufgrund des Abschaltens von deutschen Kernkraftwerken mit den international höchsten Sicherheitsstandards kann keine rationale Alternative sein. Der Landesparteitag unterstützt die Initiativen von Europaminister Jörg-Uwe Hahn für eine abgestimmte Energiepolitik in Europa und von Wirtschaftsminister Dieter Posch zur Beschleunigung des Netzausbaus.5a. Eine beschleunigte Energiewende erfordert insbesondere auch, die Suche nach sichereren CCS-Lagerstätten zu beschleunigen. Denn der zumindest vorübergehend notwendigen Erhöhung des Anteils fossiler Energieträger kann klimafreundlich nur durch eine Verpressung und unterirdische Speicherung von C02 begegnet werden. Die Bundesländer sind aufgefordert, ihren Widerstand gegen eine vorbehaltlose Suche nach geeigneten sicheren Standorten für eine CCS-Lagerung aufzugeben.
  6. Die hessische FDP verkennt nicht die Konsequenzen eines schnelleren Ausstiegs aus der Kernenergie auf Energiekosten sowie des Erreichens der Klimaschutzziele und der Durchsetzbarkeit und Dauer des Ausbaus der deutschen und europäischen Stromnetze. Ohne einen Beitrag zur Energieeinsparung sind ehrgeizige Ziele der veränderten Energiepolitik nicht zu erreichen. Änderungen der Laufzeitverlängerung durch Stilllegung der alten AKWs führen ganz oder teilweise zum Wegfall der Energiesteuer von 2,3 Mrd. Euro jährlich für den Bundeshaushalt und die damit verbundene Förderung regenerativer Energien. Auch diese müssen auf ihre Effizienz, ihre Kosten und auf die Folgen ihres Einsatzes überprüft werden.
    Heute zeigen sich in aller Schärfe die schweren Versäumnisse aller bisherigen Bundesregierungen bei der notwendigen Erkundung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Eine Beschleunigung der Erkundung ist dringend geboten! Die schnellere Überwindung der Brücke zwischen Kernenergie und Erneuerbaren Energien zwingt die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer zu konsequenterem Handeln. Gleichzeitig fehlen den bisher vorgelegten Szenarien zum Ausstieg aus der Kernenergie realistische Konzepte der neuen Energiewelt.
    Wissenschaftliche Erkenntnisse, Innovationen und modernste Technologien sind der Schlüssel zu einer sicheren, unseren Wohlstand bewahrenden Energie-Zukunft. Die hessischen Liberalen haben dabei die gesamte Palette von Energieerzeugungsmöglichkeiten im Blick – von Gas-, Wasser- und Kohlekraftwerken über Windenergie, Biomasse, Geo- und Solarthermie bis hin zu Pumpspeicherwerken, im Hinblick auf Kernkraft bzgl. Endlagerung und Kraftwerkssicherheit.
    Der Prozess eines beschleunigten Ausstiegs aus der Kernenergie bei gleichzeitig zu bewältigender Effizienzsteigerung, neuem Energiemix, intelligenterer Verbrauchssteuerung und Netzausbau stellt beträchtliche Herausforderungen an dessen Management dar. Darüber hinaus ist der Investitionsbedarf immens.
  7. Der Landesparteitag fordert den Landesvorstand auf, die bundespolitischen Aussagen dieses
    Antrags als Antrag des Landesverbandes Hessen zum Bundesparteitag einzureichen.