Unabhängige Energieversorgung sichern – Potenziale im Land nutzen
Die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben uns unsere verheerende Abhängigkeit von Energieimporten aus dem Ausland vor Augen geführt. Das Vorhaben, aus der Kernenergie und der Kohleverstromung auszusteigen und gleichzeitig die Abhängigkeit von russischem Gas zu erhöhen, hat uns in eine sehr schwierige Lage gebracht. Wladimir Putin setzt das Drosseln der Gasexporte nun gezielt als Waffe gegen uns ein. Die Reduktion der Gasliefermengen von Russland nach Deutschland hat die Gaspreise in den letzten Monaten stark ansteigen lassen. Gleiches ist bei den Strompreisen zu beobachten. Die Abschaltung von Kohle- und Kernkraftwerken wird die Nachfrage noch weiter erhöhen und die Preise weiter ansteigen lassen. Dabei treiben die Energiepreise die Inflation bereits jetzt stark an, belasten Menschen und Unternehmen zunehmend und bringen Existenzen und Arbeitsplätze in Gefahr. Wir Freie Demokraten in Hessen setzen uns dafür ein, dass Energie nicht zum Luxusgut wird.
Neben der Bezahlbarkeit der Energie gilt es aber auch, verstärkt die Verlässlichkeit der Energieversorgung in den Blick zu nehmen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien allein kann unser Energieproblem kurz- und mittelfristig nicht lösen. Die Menschen und Unternehmen in Hessen brauchen heute und morgen eine sichere, bezahlbare und verlässliche Energieversorgung. Wir Freie Demokraten wollen nicht nur eisige Wohnungen verhindern, sondern auch den hessischen Wirtschafts- und Industriestandortes sichern. Dabei stellt die chemisch-pharmazeutische Industrie nicht nur den umsatz- und exportstärksten Wirtschaftszweig dar, sondern ist mit über 60.000 Arbeitsplätzen auch der größte industrielle Arbeitgeber im Land. Die hohen Energiekosten der Vergangenheit bei gleichzeitig abnehmender Netzstabilität haben die De-Industrialisierung, den Arbeitsplatzabbau und Standortschließungen der energieintensiven Branche bereits stark vorangetrieben und diese geschwächt. Eine sichere, stabile und leistungsstarke Energieversorgung ist auch für das Digital Hub am Finanzstandort Frankfurt am Main elementar. Die hier ansässigen IT-Unternehmen und Data-Center sind auf energieintensive Rechenzentren angewiesen, um leistungsfähige Datenverbindungen herstellen und in Echtzeit zur Verfügung stellen zu können. Damit tragen sie zur Stärke des Standortes bei, in den jährlich mehr als 350 Millionen Euro fließen und von dem über 50.000 Arbeitsplätze abhängen. Bereits kurze Blackouts sind verheerend und bedeuten für die Finanz- und Digitalbranche sowie die chemisch-pharmazeutische Industrie Schäden in Millionenhöhe. Umso wichtiger muss es für uns in Hessen sein, die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Sparappelle und Verzichtsforderungen stellen in einem Industrieland wie Deutschland keinen Ersatz für eine Energieversorgungsstrategie dar. Wir müssen unsere eigenen Energiepotenziale schöpfen und nutzen. Das ist sowohl eine Frage der Glaubwürdigkeit wie der Solidarität. Wir können von anderen Ländern keine fossile und nukleare Energieversorgung einfordern, wenn wir die entsprechenden Technologien im eigenen Land kategorisch ablehnen und unsere Möglichkeiten ungenutzt lassen. Mit der Laufzeitverlängerung und dem echten Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke leisten wir unseren Beitrag zur Sicherung der europäischen Versorgung und der politischen Unabhängigkeit gegenüber Russland. Für uns Freie Demokraten ist klar: Kein Land darf in Zukunft eine Monopolstellung als Energielieferant besitzen, dass es nach Belieben substanziellen Einfluss auf unsere Energiepreise und unsere Versorgungssicherheit nehmen kann.
Zur Sicherstellung der Energieversorgung im kommenden Winter und darüber hinaus, fordern wir Freie Demokraten in Hessen folgende Maßnahmen:
1) Vorübergehender Weiterbetrieb der drei verbleibenden und ergebnisoffene Prüfung des Weiterbetriebes der zuletzt stillgelegten Kernkraftwerke
Die hohen Strompreise belasten Verbraucher und Unternehmen. Einer der Gründe dafür ist die Gasverstromung. Dabei wird Gas in Strom umgewandelt – Gas, das eigentlich in der Industrie oder zum Heizen benötigt wird. Das treibt die Preise von Gas und Strom. Der vorübergehende Weiterbetrieb der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke (KKW) über den 31. Dezember 2022 hinaus würde die Gasverstromung reduzieren und einen zentralen Beitrag zur Sicherheit und Stromversorgung liefern. Ein Weiterbetrieb würde nicht nur den Bedarf an knappem Erdgas spürbar senken, sondern auch dämpfend auf die Strompreise wirken. Die Vorkehrungen für den Weiterbetrieb müssen angesichts der sich verschärfenden Stromkrise unverzüglich getroffen werden. Ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, weitere Brennelemente anzukaufen, müssen die Bemühungen hierfür kurzfristig eingeleitet werden. Dabei darf es bei den bewährten hohen Sicherheitsanforderungen keine Abstriche geben. Überdies muss eine ergebnisoffene Prüfung des Weiterbetriebs der zuletzt stillgelegten Kernkraftwerke stattfinden.
2) Wasserstoff konsequenter und schneller zum Einsatz bringen
Doch um einen Beitrag zur verlässlichen Energieversorgung leisten zu können, muss der Strom aus den volatilen Erneuerbaren Energien in großen Mengen speicherfähig sein. Den volatilen Strom aus Sonne und Wind wollen wir verstärkt durch die Erzeugung von Wasserstoff speicherbar und über weite Strecken transportierbar machen. Wasserstoff kann mittelfristig dann auch als Ersatz von Gas dienen – vor allem in der energieintensiven Industrie. Wir wollen die regulatorischen und planungsrechtlichen Hürden für die Wasserstoffproduktion, den Transport und die Verteilung so weit absenken, dass sich eine Wasserstoffwirtschaft diskriminierungsfrei entwickeln kann. Dazu gehört auch, die Forschung um neue Wasserstoff-Technologien und den entsprechenden Transfer aus der Wissenschaft weiter zu intensivieren. Fest steht: Wir müssen, wie im Berliner Koalitionsvertrag verankert, gemeinsam in der Europäischen Union zusammenarbeiten. Wir fordern daher die Gründung einer europäischen Wasserstoffunion.
3) Eine ideologie- und technologieoffene Erforschung neuer Generationen von Kernenergie
Die aktuelle Situation verdeutlicht, wie sehr wir auf die Entwicklung von sauberen und risikoarmen Zukunftstechnologien angewiesen sind. Wir hessischen Freie Demokraten wollen daher die Erforschung der Fusionsenergie verstärkt fördern, den Rechtsrahmen adäquat anpassen und deutliche Investitionsanreize in der privaten Energieforschung setzen. Dass dies der richtige Weg ist, zeigt anschaulich das hessische Clean Tech-Start-Up Focused Energy. Mittels Trägheitsfusion arbeitet und forscht es am Standort Darmstadt an der Produktion von sauberer Energie in großem Umfang und zeigt damit, dass nur Technologieoffenheit einen Innovationswettbewerb um die effizienteste, emissionsärmste und günstigste Energieversorgung bietet, die uns zudem unabhängig macht. Auch das ebenfalls in Darmstadt ansässige Beschleunigungszentrum für die Forschung mit Antiprotonen und Ionen (FAIR) leistet hierzu wichtige Grundlagenforschung und bestärkt uns mit seinen Ergebnissen in unserer Überzeugung, dass wir nur mit einer ideologie- und technologieoffenen Forschung die technologische Souveränität unseres Landes stärken und sichern können. In der Kernfusion steckt großes Potenzial. Wir begrüßen daher, dass die Bundesforschungsministerin das an der GSI bestehende Forschungsverbot im Zusammenhang mit Kernenergie aufgehoben hat.