Weichenstellungen für ein zukunftsfähiges Schulsystem

Beschluss der Landesvorstandssitzung am 7.Mai 2011 in Kassel
(gem. LPT-Beschluss vom 9./10. April 2011 in Stadtallendorf an den Landesvorstand überwiesen)

Die hessische FDP setzt sich für eine Schulpolitik ein, die das Potenzial aller Schülerinnen und Schüler entdeckt und jedes Kind sowie jeden Jugendlichen gemäß seiner Fähigkeiten und Begabungen fördert. Kein Jugendlicher soll die Schule ohne Schulabschluss verlassen oder auf seinem Bildungsweg zurückgelassen werden. Das hessische Schulsystem muss in seiner Qualität weiterhin gesteigert und den Herausforderungen einer modernen Bildungslandschaft angepasst werden, die der Vielfältigkeit der Schülerinnen und Schüler aber auch dem demographischen Wandel gerecht wird.

Verlässliche Rahmenbedingungen für Schulen schaffen

Der Landesparteitag spricht sich dafür aus, dass Bildung auch in Zukunft oberste Priorität hat und dass in diesen Bereich auch zukünftig schwerpunktmäßig investiert wird. Die Schaffung von 1.000 neuen Lehrerstellen Stellen im Jahr 2009, 650 Stellen im Jahr 2010 und weiteren 500 in diesem Jahr sind wichtige und vor allem notwendige Maßnahmen, um den Schulen verlässliche Rahmenbedingungen für eine guten Unterricht zu ermöglichen. Gleiches gilt für den Ausbau der Ganztagsangebote an den Schulen. Die FDP begrüßt die Entscheidung der Landesregierung, den Ausbau der Ganztagsangebote konsequent voranzutreiben und dafür die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Für Schülerinnen und Schüler wird so ein ergänzendes Bildungs- und Betreuungsangebot sichergestellt.

Ziel einer liberalen Schulpolitik ist eine 105%ige Lehrerstellenzuweisung bis zum Ende dieser Legislaturperiode, so dass die Schulen über den notwendigen personellen Freiraum verfügen, ihre Unterrichtsangebote an die Bedingungen und Bedarfe vor Ort anzupassen und eine stärkere individuelle Förderung anzubieten.

Schulvielfalt für Wahlfreiheit von Eltern und Schülern erhalten

Liberale stehen für ein vielfältiges Schulsystem ein, das Eltern sowie Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit einrichtet, zwischen Schulangeboten frei zu wählen. Nur so ist zu gewährleisten, dass alle Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden können. Gleichzeitig ist es aus liberaler Sicht erforderlich, in Zeiten des demographischen Wandels praktikable Lösungen für ein breites Schulangebot in der Fläche vorzuhalten. Deshalb hält der Landesparteitag neben der Aufrechterhaltung der bestehenden Schulformen die Realisierung von Verbundschulen in ländlichen Gebieten und die Einführung der Mittelstufenschule für wichtige Maßnahmen, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

Insbesondere das Angebot an Hessens Haupt- und Realschulen, sich zu einer Mittelstufenschule weiterzuentwickeln, schafft eine zukunftsfähige Perspektive für eine intensive individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern. Die Verbesserung der Ausbildungsreife steht bei dieser Schulform noch stärker im Fokus. Die Mittelstufenschule sieht daher kleinere Klassen und Lerngruppen, eine Kompetenzfeststellung in der Jahrgangsstufe 7 – als Grundlage für eine optimale Förderung des Einzelnen – sowie Ganztagsangebote und eine enge Kooperation mit einer beruflichen Schule vor. Ziel ist es, Jugendliche auf den Übergang von Schule zu Beruf bestmöglich vorzubereiten.

Hessens Schulen selbstständiger machen

Kernanliegen liberaler Bildungspolitik ist es, die Eigenverantwortung der Schulen zu stärken. Denn Schulen, die mehr Gestaltungsfreiräume bei der Organisation ihres Schulbetriebs erhalten, können den Unterricht besser auf Neigungen, Begabungen und Talente der Schülerinnen und Schülern abstimmen und das Schulprofil an den regionalen Gegebenheiten ausrichten. Die hessischen Liberalen begrüßen daher den eingeschlagenen Weg der Landesregierung zur Einführung der Selbstständigen Schule.

Der Landesparteitag stellt fest, dass Schulen künftig mehr Freiräume in den Bereichen Unterrichtsgestaltung, Organisation des Schulbetriebs, Haushaltsführung und Personaleinstellung erhalten werden.

Alle Schulen können demnach mit Beginn dieses Jahres ein „kleines Budget“ aus Landesmitteln führen. Schulleiterinnen und Schulleiter werden in ihrer Personalverantwortung und als Vorgesetzte aller Personen, die in der Schule arbeiten, gestärkt. Schulleiterinnen und Schulleiter erhalten Personalführungsaufgaben, die auch Maßnahmen zur Qualifizierung und Weiterentwicklung der Lehrkräfte umfassen.

Der Landesparteitag begrüßt darüber hinaus, dass Schulen Schritt für Schritt die Möglichkeit eingerichtet wird, noch größere Selbstverantwortung wahrzunehmen, indem sie einen Antrag auf Umwandlung in eine „Selbstständige Schule“ (SES) stellen können. Das eröffnet noch größere Entscheidungsfreiräume bei der Stellenbewirtschaftung, der Personal- und Sachmittelverwaltung, der Unterrichtsorganisation und der inhaltlichen Ausgestaltung.

In Schulverbünden werden Schulen außerdem ihre Haushaltsmittel gemeinsam bewirtschaften können. Das ist insbesondere für kleine Schulen von Vorteil, die ihre Mittel so gezielter einsetzen können.

Rechtsfähigkeit für Selbstständige Berufliche Schulen einführen
Der Landesparteitag spricht sich dafür aus, dass Selbstständige berufliche Schulen die Möglichkeit erhalten, ausgehend von dem Modellversuch SV+, eine eigene Form der Schulverfassung zu entwickeln. Die Schulen, die im Verbund von Hessencampus arbeiten, sollen darüber hinaus rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts werden können, damit sie als gleichberechtigte Partner mit anderen Anbietern in der Bildungsregion kooperieren und sich im Weiterbildungsbereich mit gewerblichen Anbietern vernetzen können.

Inklusion ermöglichen

Die hessischen Liberalen stehen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Hessen und setzen sich dafür ein, dass die sonderpädagogische Förderung entsprechend weiterentwickelt wird. Inklusion wird als Chance verstanden. Die Umsetzung und die Akzeptanz der UNBehindertenrechtskonvention werden jedoch nicht von heute und morgen erfolgen, denn es bedarf zunächst einer breiten gesellschaftlichen Diskussion und der Einbeziehung aller Beteiligten. Inklusion findet schließlich nicht nur in einer Institution statt. Sie erfordert neben den rechtlichen Voraussetzungen vielmehr eine gesellschaftliche Anerkennung und ein Umdenken in vielen Bereichen des Zusammenlebens. Die FDP vertritt die Überzeugung, dass es so gemeinsam möglich ist, die Bedenken und Ängste zu entkräften und Inklusion zu verwirklichen. Eine gemeinsame Beschulung sowie der Abbau von Vorurteilen und Vorbehalten gegenüber Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind für die hessischen Liberalen wichtige Anliegen. Inklusion darf jedoch nicht über die Köpfe hinweg von oben verordnet werden.

Der Landesparteitag vertritt deswegen die Auffassung, dass durch die Anmeldung aller Kinder in der Regelschule der Grundstein dafür gelegt wird, Inklusion von der Ausnahme zur Regel zu machen. Die hessischen Liberalen stehen zu dem freien Elternwillen bei der Schulwahl. Jedoch soll auch die Wahlmöglichkeit der Eltern auf Beschulung in einer Förderschule aufrechterhalten werden, denn es gilt der Leitsatz: Soviel gemeinsames Lernen wie möglich, soviel getrennte Förderung wie nötig. Dies ist eine vernünftige Lösung im Sinne des Kinderwohls, das an erster Stelle stehen muss. Schülerinnen und Schüler müssen auch in Zukunft, sowohl zum Zeitpunkt der Erstaufnahme in die
Schule als auch zu einem späteren Zeitpunkt, einen Anspruch auf Beschulung in einer Förderschule haben. Die Bedeutung unseres sehr gut ausgebauten Förderschulsystems und der Elternwille zur freien Schulwahl sollen auch in Zukunft nicht in Frage gestellt werden.

Praxisbezug in der Lehrerausbildung stärken

Die hessischen Liberalen begrüßen die notwendige Anpassung der Lehrerausbildung an die Ausbildungswirklichkeit, damit die angehenden Lehrerinnen und Lehrer zukünftig noch besser auf ihren Beruf vorbereitet werden. Dafür wird der Ausbildungsschwerpunkt im Vorbereitungsdienst noch stärker auf die praktische Unterrichtstätigkeit gelegt und die Unterrichtspraxis bildet die wesentliche Grundlage für die Ausbildungsbewertung.

Entlastung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer
Der Landesparteitag begrüßt, dass die notwendige Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer im Vorbereitungsdienst nun realisiert wird, indem die Zahl der bewerteten Ausbildungsmodule von zwölf auf acht verringert wird. Dabei müssen sich bei allen acht Modulen die Lehranwärter künftig in der Unterrichtspraxis bewähren und alle acht Module müssen am Ende bestanden sein, um die Zulassungsvoraussetzung für die zweite Staatsprüfung zu erhalten.

Inhaltliche und organisatorische Neuordnung der Vorbereitungsphase
Der Landesparteitag begrüßt die Entscheidung der Landesregierung, das Referendariat von insgesamt 24 auf 21 Monate zu verkürzen und gemeinsam mit der Verlegung der Einstellungstermine organisatorisch besser an das Schuljahr und das Schulhalbjahr anzupassen. Die Verkürzung des sechsmonatigen Einführungssemesters auf eine dreimonatige Einführungsphase ermöglicht es den Lehrkräften im Vorbreitungsdienst früher eigenverantwortlich zu unterrichten.

Stärkung der Ausbildungsschulen

Die hessischen Liberalen begrüßen darüber hinaus die Aufwertung der Ausbildungsschulen und ihrer Schulleiterinnen und Schulleiter, indem diese durch ein Schulleitergutachten stärker an der Gesamtbewertung der Ausbildungsleistung der angehenden Lehrkräfte beteiligt werden.

Rechtlichen Rahmen für zukunftsfähiges Bildungssystem durch neues Schulgesetz und neues Lehrerbildungsgesetz setzen

Der Landesparteitag stellt fest, dass die Landesregierung mit der eingeleiteten Novellierung des Hessischen Schulgesetzes und des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes den rechtlichen Rahmen für ein modernes liberales Schulsystem geschaffen hat, das den Zukunftsanforderungen in den Schulen und in der Lehrerausbildung gerecht wird. Beide Gesetzentwürfe stellen wichtige Weichenstellungen für eine Steigerung der Bildungsqualität in Hessen dar.

Für eine bürgernahe Schulpolitik in den Ländern

Die hessische FDP vertritt die Auffassung, dass mehr Zentralismus in der Bildungs- und Schulpolitik nicht zu mehr Ruhe, Effizienz und Stabilität der Bildungssysteme führt. Im Gegenteil: Die Debatte um die Zuständigkeiten von Bund und Ländern im Bereich der Bildung erweist sich als kontraproduktiv, da sie an den eigentlichen Fragestellungen, nämlich bessere Bildungschancen und mehr individuelle Förderung für alle Kinder und Jugendlichen vorbei geht. Um die Qualität des Unterrichts zu verbessern und eine möglichst frühe und individuelle Förderung aller Kinder zu erreichen, ist weder ein Bundesschulgesetz, ein Zentralabitur noch die Aufhebung des Kooperationsverbotes hilfreich.

Der Landesparteitag ist der Überzeugung, dass es ausschließlich der Zuständigkeit der Länder für die Bildungspolitik zu verdanken ist, dass heute ein vielfältiges Schulsystem besteht, in dem unterschiedliche Konzepte sich bewähren, sich in ihren Stärken gegenseitig anregen und befruchten können, in dem Eltern und Schüler überhaupt eine Wahlmöglichkeit haben, welche Schule sie besuchen wollen und in dem sich zeigen kann, mit welchen Methoden die besten Bildungsergebnisse erzielbar sind.

Das föderale System macht den Wettbewerb in der Bildungspolitik erst möglich und bietet so die
Chance zu einer stetigen Verbesserung der Schulqualität. Die Entscheidung, sich an internationalen
Untersuchungen zu beteiligen und die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungswesens
zu testen, trafen schließlich die Länder. Die Länder haben daraus die Konsequenzen gezogen,
Bildungsstandards entwickelt und ihre Umsetzung auf den Weg gebracht. Die Länder, nicht der
Bund gaben und geben somit die Anstöße zur Qualitätsentwicklung von Schule.

Nicht Maßnahmen für mehr Zentralismus, sondern mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schulen innerhalb des föderalen Systems sind erforderlich, um Schulen die Kontinuität ihrer Arbeit und ihrer Qualitätsentwicklung zu sichern. Denn eine Schule, die selbst ihr Profil gestalten kann, die Mitentscheidungsrechte über Budget und Personal hat, wird unabhängiger von politischen Entwicklungen. Eine selbstständig arbeitende Schule kann regionale Bedürfnisse stärker berücksichtigen, besser auf die Interessen der Schüler eingehen, sie optimal fördern und sich stärker an den beruflichen Anforderungen vor Ort ausrichten. In einer Schullandschaft mit selbstständigen Schulen finden Veränderungen nur noch dort statt, wo sie von den Kollegien und Eltern auch gewollt
werden.

Verbesserungen von Schülerleistungen, die das Ziel sein sollten, sind das Ergebnis von mehr individueller Förderung durch verbesserte Rahmenbedingungen an den Schulen, von besser ausgebildeten Lehrkräften, von wirksamerem Unterricht, von Schulen, die sich an Bildungsstandards orientieren und an ihren Ergebnissen messen lassen und nicht zuletzt von Eltern, die sich um die Bildungschancen ihrer Kinder bemühen. Strukturdebatten sowie Föderalismusdiskussionen leisten hierzu keinen Beitrag.