Zeitgemäße Ausgestaltung der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Schuldenbremse

Sachlage:

Die COVID-19-Pandemie hat Deutschland, Europa und die Welt vor vielseitige, weitreichende und neue Herausforderungen gestellt. Um die epidemiologische Situation beherrschbar zu halten, hat sich die Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern zu tiefgreifenden Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens entschieden. In der Folge sank die Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr gemäß ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes um 5%.

Maßgeblich gestützt wurde die wirtschaftliche Entwicklung während der Pandemie durch weitreichende Unterstützungsmaßnahmen des Bundes und der Länder, die vorwiegend durch die Aufnahme von Krediten finanziert wurden. Im Ergebnis stieg die Gesamtverschuldung Deutschlands (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen) bis zum Ende des dritten Quartals auf rund 2,2 Billionen Euro an und lag damit bereits Ende September um 15,6% bzw. 296,4 Milliarden Euro über dem Stand zum Jahresende 2019. Der größte Teil dieses Schuldenzuwachses entfiel auf den Bund, dessen Verbindlichkeiten um 20,3% oder 241,5 Milliarden Euro auf 1,43 Billionen Euro stiegen. In den Länderhaushalten stiegen die Schuldenstände um insgesamt 9,1% (52,4 Milliarden Euro) auf 631,1 Milliarden Euro.

Sowohl im Bundeshaushalt als auch in den Länderkassen musste dafür die seit 2011 geltende Schuldenbremse durch die jeweiligen Parlamente für das Jahr 2020 ausgesetzt werden. Und auch im Jahr 2021 werden die in der deutschen Verfassung verankerten Schuldenregeln vielerorts keine Anwendung finden.

Die Schuldenbremse sieht vor, dass Bund und Länder grundsätzlich einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen müssen. Dabei darf sich die strukturelle, d.h. konjunkturunabhängige, Nettokreditaufnahme auf Bundesebene auf maximal 0,35% des nominalen Bruttoinlandsprodukts belaufen, während die Länder ihre Haushalte sogar ganz ohne strukturelle Kreditaufnahme aufstellen müssen.

Diese Vorgaben in Kombination mit den sprudelnden Steuereinnahmen der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass der Schuldenstand der inländischen öffentlichen Haushalte in Deutschland von seinem Höchststand von 2.226 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf 2.057 Milliarden Euro im Jahr 2019 gesunken ist. Dass die Quote des Staatsschuldenstands in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von über 82% im Jahr 2010 auf 59,6% im Jahr 2019 und damit wieder unter den europarechtlich vorgegebenen Wert von 60% gesunken ist, ist allerdings vor allem dem Anstieg des nominalen Bruttoinlandsprodukts zu verdanken. Ohne das Wirtschaftswachstum hätte die Staatsschuldenquote 2019 immer noch bei 74% gelegen. Somit wurde durch Verzicht auf neue Schulden und durch das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre ein finanzieller Spielraum ermöglicht, um die ökonomischen Folgen der Pandemie finanzpolitisch durch erneute Kreditaufnahmen abzufedern.

Trotz des positiven Beitrags der Schuldenbremse zur fiskalischen Situation Deutschlands vermehren sich nicht erst seit der Corona-Pandemie die Stimmen, welche die Ausgestaltung der Schuldenbremse verändern wollen. Dabei wird vor allem damit argumentiert, dass die derzeitige, auf die Bruttoeinnahmen und -ausgaben des Staates abstellende Ausgestaltung der Schuldenbremse wachstumsförderliche Nettoinvestitionen der öffentlichen Hand eher bremst, als diese zu fördern. Dies zeige sich auch in einem Substanzverlust in der heimischen Infrastruktur und z. B. in dem Rückstand Deutschlands im Bereich der Digitalisierung. Einige Kommentatoren fordern gar die vollständige Abschaffung der Schuldenbremse.

Unsere Position:

Die Freien Demokraten sind davon überzeugt, dass eine Schuldenbremse als Instrument zur Selbstverpflichtung des Staates von unverzichtbarer Bedeutung ist. Der Finanzmarkt allein kann dies nicht ersetzen. Denn die aktuelle Regulierung der Finanzmarktakteure und die Art, wie das Eurosystem Geldpolitik im Euroraum betreibt, führen dazu, dass die Notierungen öffentlicher Schuldtitel nicht vollständig das mit diesen Instrumenten verbundene Risiko widerspiegeln.

Die Begrenzung staatlicher Ausgabenpolitik ist nach wie vor nötig, um eine Finanzpolitik zu Lasten künftiger Generationen zu vermeiden. Schuldenfinanzierte öffentliche Ausgaben müssen durch künftige Steuereinnahmen gedeckt werden. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen. Eine Kreditfinanzierung ist nur akzeptabel für Ausgaben, die investiven Charakter haben und damit auch Wachstum und künftige Erträge erwarten lassen. Schuldenfinanzierter staatlicher Konsum ist hingegen abzulehnen. Zudem kann nur durch dauerhaft verantwortlich geführte Staatsfinanzen sichergestellt werden, dass der Staat nicht in Refinanzierungsschwierigkeiten am Kapitalmarkt gerät. Und schließlich geht mit einer zunehmenden staatlichen Verschuldung insbesondere bei einem unzureichenden Wirtschaftswachstum auch die Gefahr einer Ausdehnung der Staatsaktivität und der Verdrängung privater Leistungen einher (crowding out). Dies halten wir aus ordnungspolitischer Sicht für inakzeptabel. Grundsätzlich gilt, dass Haushaltsführung stets nachhaltig angelegt sein muss. Das heißt, mittel- bis langfristig kann der Staat nicht mehr ausgeben, als er einnimmt.

Auf europäischer Ebene birgt die vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU beschlossene Auflegung sogenannter Corona-Anleihen die Gefahr einer dauerhaften Schwächung fiskalischer Disziplin. Vor diesem Hintergrund treten wir dafür ein sicherzustellen, dass die EU-Kreditaufnahme für Corona-Hilfen ein einmaliges Projekt bleibt und nicht die Tür zu einer dauerhaften, gemeinsamen Kreditaufnahme der EU- Mitgliedsstaaten öffnet. Der Zusammenhang zwischen der Verschuldung eines Mitgliedstaates und dessen Pflicht zur Schuldentilgung muss gewahrt bleiben (no bail-out). Fiskalisch verantwortlich handelnde Mitglieder des Staatenbundes dürfen nicht durch die Defizitpolitik anderer in eine Schuldenkrise gerissen werden. Auch dürfen die Steuerzahler der Mitgliedstaaten, die eine zurückhaltende Haushaltspolitik verfolgt haben und verfolgen und die schon die Restriktionen geringerer Staatsausgaben ertragen mussten, nicht noch für den Schuldendienst der nicht nachhaltig agierenden Länder herangezogen werden. Verantwortliche Haushaltspolitik würde ad absurdum geführt, wenn nur die staatlichen Dienstleistungen für die eigenen Bürger reduziert würden, die mitzutragende Schuldenlast aber unkontrollierbar bliebe.

Ein faktischer „bail-out“ darf auch nicht über die Geldpolitik im Euroraum ermöglicht werden. Deshalb lehnen wir den direkten Erwerb von Staatstiteln durch das Eurosystem am Sekundärmarkt ab. Denn ein solches Vorgehen birgt die Gefahr, dass sich die Geldpolitik in eine Abhängigkeit der Fiskalpolitik begibt, aus der sie sich nur schwer wieder lösen kann.

Die Freien Demokraten sind davon überzeugt, dass eine verantwortliche Fiskalpolitik für alle Staaten langfristig positive Wirkungen erzeugt. Deshalb ist die Einhaltung nationaler Schuldengrenzen in allen Teilnehmerländern zwingend erforderlich. Da von einer Nichtbeachtung der Schuldengrenzen einzelner Länder negative Folgen für alle Mitgliedsstaaten entstehen, treten wir dafür ein, die Kosten einer Nichtbeachtung so hoch zu setzen, dass diese aus ökonomischer und politischer Sicht nicht mehr attraktiv ist. Entsprechende Maßnahmen können der Entzug des Stimmrechts im Europäischen Rat, die Streichung von Subventionen oder andere geeignete Mittel sein.

Auch muss eine Schuldenbremse nicht nur auf der Ebene der Mitgliedstaaten, sondern künftig ebenso auf der Ebene der EU selbst gelten, sofern es zu einer dauerhaften gemeinsamen Verschuldung der EU kommen sollte.

Für die zu geringe staatliche Investitionstätigkeit in Deutschland ist eine falsche Prioritätensetzung bei den öffentlichen Ausgaben verantwortlich, nicht die Begrenzung der staatlichen Schuldenaufnahme. Die Ausgabenstruktur muss wieder stärker von den konsumtiven zu den investiven Staatsausgaben verschoben werden. Angesichts der seit vielen Jahren zu geringen öffentlichen Nettoinvestitionen befürwortet die FDP aber auch eine Weiterentwicklung der verfassungsmäßigen Schuldenbremse zu einer Schuldenbremse, die mehr staatliche Nettoinvestitionen begünstigt. Zugleich muss die Begrenzung des öffentlichen Schuldenstandes auf 60% des Bruttoinlandsprodukts, wie dies im Vertrag über die Arbeitsweise der EU niedergelegt ist, mittelfristige Zielsetzung staatlicher Fiskalpolitik bleiben. Langfristig streben wir den vollständigen Abbau der hessischen und deutschen Staatsverschuldung an.

Eine Abschaffung der Schuldenbremse lehnt die FDP entschieden ab.

Die Freien Demokraten fordern:

  • die weitreichende Entbürokratisierung in Deutschland, um die heimischen Wachstumskräfte wieder zu beleben;
  • staatlichen Investitionen gegenüber öffentlichen Konsumausgaben wieder eine höhere Priorität einzuräumen;
  • die Schuldenbremse beizubehalten, jedoch ihre Ausgestaltung in Richtung auf die Förderung von mehr staatlichen Nettoinvestitionen weiterzuentwickeln;
  • Transparenz zu erhöhen durch verpflichtende Berichterstattung der öffentlichen Haushalte nach einheitlichen europäischen Standards für das öffentliche Rechnungswesen (EPSAS) in Verbindung mit einer gesamtstaatlichen Bilanz;
  • künftig in konjunkturell günstigen Phasen hohe Rückstellungen/Rücklagen/Fondslösungen zu bilden, damit zukünftig auch in schweren Krisen eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse möglichst vermieden werden kann; vorhandene Rücklagen sind vor der Aussetzung der Schuldenbremse zu nutzen;
  • die zusätzlichen Corona-Schulden zeitnah zu tilgen und den staatlichen Schuldenstand wieder auf unter 60% des Bruttoinlandsprodukts zurückzuführen;
  • auf die Schaffung von „Sondervermögen“ oder anderen Schattenhaushalten zur Umgehung der Schuldenbremse zu verzichten;
  • eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in allen EU-Mitgliedstaaten und auch auf der Ebene der EU selbst zwingend einzuführen, auch um eine auf Dauer angelegte europäische Schuldengemeinschaft zu verhindern;
  • die „no-bail-out“-Regeln der europäischen Verträge einzuhalten, inkl. einer geordneten Restrukturierung der Schulden einzelner Mitgliedsstaaten, ohne dass die Steuerzahler der anderen Staaten direkt oder indirekt belastet werden;
  • die risikoadäquate Kapitalunterlegung von Positionen gegenüber öffentlichen Schuldnern in der Kapitalmarktregulierung, um die disziplinierende Funktion des Kapitalmarktes für die fiskalischen Akteure zu stärken;
  • die konsequente Beachtung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit in der bundesdeutschen und europäischen Fiskal- und Geldpolitik;
  • langfristig die vollständige Rückführung der staatlichen Gesamtverschuldung.