Statement zum Koalitionsvertrag

09.02.2018

Wie in der vergangenen Legislaturperiode erweist sich der Status Quo als Sehnsuchtsort der Großen Koalition. Während sich die ganze Welt verändert, trifft die neue Regierung keine einzige Richtungsentscheidung. Zur Wahrung des Koalitionsfriedens werden Milliarden ausgegeben. Jeder Koalitionspartner bekommt sein Projekt, ohne dass ein gemeinsames Ziel zu erkennen ist. Die Rechnung zahlt die arbeitende Mitte in naher Zukunft durch steigende Steuern, Abgaben und mit geplünderten Sozialkassen. Generationengerechtigkeit spielt keine Rolle. Die Chancen der Digitalisierung für den Wohlstand der Zukunft, für ein flexibleres und selbstbestimmteres Arbeiten oder weltbeste Bildung bleiben auf der Strecke. Unser Land lebt derzeit von seiner Substanz – eine ambitionslose Regierung können wir uns nicht länger leisten.

Wir Freien Demokraten hören und lesen in diesen Tagen sehr häufig den Vorwurf, wir hätten in einer Jamaika-Koalition die Chance gehabt, Dinge zu ändern. Diese Chancen hätten wir aus nicht nachvollziehbaren Gründen leichtsinnig weggeworfen. Eine Kritik unsererseits an der politischen Ausrichtung der Bundesrepublik sei daher unangebracht. Wir widersprechen dieser Sichtweise – der Koalitionsvertrag gibt einen Einblick in das, was wir hätten mittragen müssen.

In den Sondierungsgesprächen haben wir Gemeinsamkeiten mit Union und Grünen umfangreich ausgelotet, aber festgestellt, dass eine tragfähige Regierung für vier Jahre nicht zustande kommen kann. Wir stellten fest, dass in der Union der ordnungspolitische Kompass verloren gegangen ist. Weder Formelkompromisse oder Wortschöpfungen, die Unterschiede überdecken sollen, noch das Zuschütten von unterschiedlichen Sichtweisen mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger führen zu einem größeren Ganzen – einer gemeinsamen großen Idee für dieses Land.

Als starke Oppositionspartei werden wir die Große Koalition nicht nur kritisieren, sondern konstruktiv begleiten und eigene Initiativen in den Deutschen Bundestag einbringen.

Zu Ihrer Information die Hauptkritikpunkte am Koalitionsvertrages der Großen Koalition:

1.       Für die digitale Bildung hatte Ministerin Wanka vor der Wahl noch 5 Mrd. Euro versprochen. Herausgekommen sind nun 3,5 Mrd. Euro für die laufende Legislaturperiode. Doch weder 3,5 noch 5 Mrd. Euro werden der anstehenden Aufgabe der Digitalisierung unserer Schulen gerecht. Das zeigt: Die Große Koalition vernachlässigt das Thema Bildung und fällt sogar noch hinter die eigenen Versprechen der letzten Legislaturperiode zurück.

2.       Die Rentenpläne der GroKo werden die Steuer- und Beitragszahler bis 2030 über 100 Mrd. EUR zusätzlich kosten. Diese Belastungen werden der aktiven Generation wie ein Mühlstein um den Hals gehängt. In wirtschaftlich schlechteren Zeiten werden sie den Haushalt wie Senkblei in die Verschuldung ziehen. Bis 2025 sollen ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent und ein Beitragssatz von nicht mehr als 20 Prozent garantiert werden. Hinzu kommen weitere Vorhaben, beispielsweise die Mütterrente. Da die Generation der Babyboomer aber erst ab Mitte des kommenden Jahrzehnts in den Ruhestand gehen wird, müssen wir unser Rentensystem bis dahin zukunftsfest umgebaut haben. Wir Freien Demokraten wollen ein enkelfittes System. Dass die Bundesregierung erst eine Kommission einsetzen wird, die Vorschläge für ein Rentensystem erarbeiten soll, wenngleich schon heute zusätzliche Ausgaben getätigt werden, zeigt, dass sie auf Sicht fährt.

3.       Diese Belastung frisst auch die Mini-Entlastung um 10 Mrd. beim Solidaritätszuschlag um ein Vielfaches wieder auf. Diese Entlastung wiederum ist Augenwischerei, denn die Große Koalition nimmt in den kommenden vier Jahren 80 Mrd. Euro durch den Soli ein und gibt nur 10 Mrd. Euro zurück. Die Politik hat bei seiner Einführung Versprochen, den Soli nur auf Zeit zu erheben, dieses Versprechen wird von Union und SPD jetzt gebrochen. Der Soli muss spätestens ab 2020 komplett abgeschafft werden, da der Grund für seine Erhebung weggefallen ist.

Obwohl Union und SPD vor der Wahl die Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen durch die Anpassung des Einkommensteuertarifs versprochen haben, lassen sie in den kommenden vier Jahren nun ganz die Hände von der Einkommensteuer. Die Ungerechtigkeit der Kalten Progression besteht somit weiter fort.

4.       Die widersprüchlichen Vorstellungen zur Zukunft des Gesundheitssystems hat man in eine Kommission vertagt, die Bürgerversicherung schwebt weiter wie ein Damoklesschwert über Patienten, Ärzten und Beitragszahlern.

5.       Beim Thema Digitalisierung verlieren wir weiter an Boden. Der Rechtsanspruch auf schnelles Internet ab 2025 löst die Probleme nicht, sondern überträgt sie lediglich auf die nächste Bundesregierung. Das Verlegen von Kabeln für schnelle Netze hat noch nichts mit Digitalisierung zu tun. Es schafft nur die Voraussetzung, dass sie überhaupt stattfinden kann. Schnelle Netze, digitalisierte Schulen und Behörden sind in anderen Ländern schon weit vorangeschritten. Die Vorstellungen der Großen Koalition reichen noch nicht einmal aus, um diesen Rückstand aufzuholen. Dabei sollte es unser Anspruch sein, eine der führenden Nationen bei künstlicher Intelligenz, Quantencomputern oder der Automatisierung zu werden.

Das wichtige Thema, wie privates Risikokapital jungen Unternehmen für ihre innovativen Ideen bereitgestellt werden kann, sucht man bei der Großen Koalition vergebens.

6.       Lösungsvorschläge und Konsequenzen aus dem Versagen der deutschen Sicherheitsarchitektur – wie beim Fall Anis Amri – finden sich nicht im Koalitionsvertrag. Weder soll die Kleinstaaterei bei den Landesämtern für Verfassungsschutz überwunden, noch die Rolle des Gemeinsamen Terrorabwehr-Zentrums gesetzlich klar geregelt werden. Stattdessen drohen weiterhin Einschränkungen von Bürgerrechten.

7.       Das Mega-Thema Migration und Flüchtlinge bleibt ungelöst. Allein die formale Zusammenstellung der Regeln zur Erwerbsmigration in einem Gesetzbuch ist noch kein kohärenter Ansatz, auch wenn positive Schritte erkennbar sind (z.B. Aufnahmezentren, Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge). Beim Thema Familiennachzug drückt sich die Große Koalition um die schwierige Entscheidung, wer wann im Rahmen des Kontingents kommen darf.

8.       War die Energiepolitik in den vergangenen Jahren ein Subventionsgrab, ohne nur einen nennenswerten Erfolg zu erzielen, stellt man auch in diesem Bereich fest: Die Große Koalition scheut sich bitternotwendige Strukturreformen durchzuführen. Die entscheidende Frage, wie wir erneuerbare Energien bezahlbarer machen und besser ins Netz integrieren, bleibt unbeantwortet. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird ohne jede Rücksicht auf die Aufnahmekapazitäten des Verteilernetzes vorgenommen. Die Große Koalition riskiert weiteren Schaden für den Wirtschaftsstandort.

9.       Im Bereich der Europapolitik ist noch unklar, welche Zugeständnisse die Bundesregierung mit einem sozialdemokratischen Außenminister machen wird. Wer Europa weiterentwickeln möchte, muss erst einmal regeln, welche Aufgaben auf welcher Ebene am besten angesiedelt sind. Erst dann stellt sich die Frage nach der Finanzierung. Klar ist im Koalitionsvertrag bisher nur, dass Deutschland mehr zahlen und der Vergemeinschaftung von Schulden und Risiken zustimmen wird. Bei der Einführung des Euros hat man den deutschen Bürgern versprochen, dies definitiv auszuschließen. Wir wollen ein besseres Europa, das der Großen Koalition wird leider nur teurer.

10.   Schon das Personaltableau der Großen Koalition zeigt, dass es nicht darum geht, die Weichen Richtung Zukunft zu stellen. Bei der Ressortaufteilung stellen wir fest: Deutschland bekommt ein Heimatministerium, aber kein Ministerium für Digitalisierung.

Unser Fazit: Während andere Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter steigern, konzentriert sich die neue Bundesregierung auf das Verteilen von Wohltaten und verspielt damit unsere Zukunft.

Keine Politik ist alternativlos. Schon gar nicht das Verwalten des Status quo. Wir Freien Demokraten wollen daher regieren. Wir haben einen großen Gestaltungswillen und Pläne für die Zukunft unseres Landes. Unsere vor der Wahl formulierten Trendwenden entsprechen diesen Zielen. Sie waren von Anfang an so formuliert, keine unüberwindbaren Hindernisse aufzubauen. Was mit uns Freien Demokraten aber nicht machbar ist, ist ein Weiter-So mit noch mehr Wohlfühlpolitik. Sowohl Jamaika als auch die Große Koalition stehen aber für diese Politik. In Zeiten bahnbrechender Technologien halten wir sie nicht nur für ambitionslos, sondern sogar für gefährlich. Leider haben wir derzeit wenige Mitstreiter. Wir sehen daher unsere Aufgabe darin, für mehr Politik des „German-Muts“ zu werben und sträflich vernachlässigte Themen auf die Agenda zu setzen.